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Montag, 8. Juni 2015

Schreibfluss

Kleine Schreibübung: Nimm ein Wort, das erste, was Dir in den Sinn kommt. Schreib es auf. Und dann neun weitere, die Dir dazu spontan einfallen, ohne darüber nachzudenken, ohne Zusammenhang, ohne Sinn und Zweck. Dann lass die Wörter lebendig werden und schreibe drauf los. Eine kleine Geschichte, ein Gedicht, was auch immer. Schaue, was herausfließt und entsteht. Ich liebe diese Übungen. Das Schreiben darf dabei so leicht und anspruchslos sein, fließend und experimentell. Und dennoch oder gerade deshalb mag ich die Ergebnisse. Nichts Erdachtes, sondern etwas, das einfach gekommen, geschehen ist. Klein und fein und eigen, sonst nichts.

Hier zwei Beispiele. Plötzlich waren Bruno und die mutige Dame da. Ich mag die beiden :).


 

~Bruno
Er bestellte wie immer die Tagessuppe. Lag ein Zwang darin? Was, wenn sie ihm nicht schmeckte, er sie nicht vertrug oder, noch schlimmer, er heute eigentlich Lust auf etwas anderes hätte? Und genau da begannen sie, die Verstrickungen. Die Qual der Wahl, der Zwang zur Entscheidung! Genau diese Kompliziertheit machte ihn unfrei. Dieses bestellen hieße auf jenes verzichten, hieße sich vorher den Kopf zerbrechen oder umständlich seinen Körper befragen müssen. (Ihm erschien es zumindest wie eine mittlere Herausforderung herauszufinden, worauf dieser heute Appetit hatte. Meistens fühlte er sich ohnehin einfach träge, müde und ohne rechten Appetit, dicklich und satt wie ein Rollmops.). Er fühlte sich wie im goldenen Käfig, und da wollte er raus. Wollte nicht die Wahlfreiheit, sondern die Freiheit der Einfachheit. Er hatte nicht viele Wünsche, also brauchte er auch nicht unzählige Möglichkeiten, sie zu erfüllen. Statt im Hamsterrad zu strampeln oder sich im goldenen Käfig zu langweilen, ging er lieber an der Hundeleine. Ließ sich vom Leben führen sozusagen. Denn Bruno war ein Mops. Kein Rollmops freilich, sondern ein Hund. Etwas träge, ja, aber tigerstark. Er verlangte nicht nach viel, aber das wusste er durchzusetzen. Sein Herrchen befand sich gerade im Honigmond mit seiner neuen Liebsten, und Bruno sollte mit. Da saß er nun, stoisch und seltsam gefasst, neben dem üppigen Frühstücksbüffet. Keine Tagessuppe und wieder die Qual der Wahl. Er löste sich von seiner Leine und allen Vorurteilen und stahl sich davon. Draußen, in den Gassen der alten Stadt gab es bestimmt ein paar Straßenköter, mit denen er frühstücken konnte. Und da gab es, was auf den Tisch kam.



~Neuland
Trockenübung. Schon dieses Wort! Raus wollte sie, in die Praxis, ins wahre Leben. Nicht proben für den Ernstfall, sondern ihn erleben. Wieso eigentlich Ernstfall? Darin lag so viel Sorge, Angst, ein Vorwegnehmen von Gefahren, die es vielleicht gar nicht gab. Der Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit. Pah!, rief sie innerlich. Sie sehnte sich nach allen Gegenteilen, wollte sich den Schwierigkeiten stellen, die ihr vielleicht da draußen begegneten, wollte mutig sein, auf Risiko gehen, die Kontrolle loslassen (hatte es sie jemals gegeben?). Ihr kam all das, was ihr Leben bisher bestimmt hatte, vor wie enge Fesseln. Zu enge, deshalb wollte sie sie schleunigst entzweien, sie ungestüm sprengen. Und lossprinten, dem Leben entgegen. Extra dafür hatte sie sich ein Paar Turnschuhe gekauft. Es war nicht leicht, welche in ihrer Größe zu finden, und sie brauchte ja auch gleich zwei Paar. Aber es gelang, sie passten. Immerhin gut genug für ihre Mission, um dabei nicht gleich am Anfang ins Stolpern zu geraten. Sie wollte sich nicht zu viele Fragen stellen, das führte ja doch zu nichts. „Hinterher ist man immer schlauer“, dachte sie sich, als sie in ihr Honigbrot biss. Und das Vorher besteht dann darin, unvoreingenommen zu sein. Noch etwas zaghaft, aber schon sichtbar mutig reckte sie ihren Schildkrötenkopf aus ihrem Panzer. Sie befand sich an einer Weggabelung. Links oder rechts lang?