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Freitag, 19. März 2021

Momentnotizen

Ohne Licht und ohne Musik im Zimmer sitzen und dem Abend beim Dunkelwerden zuschauen. Eine Weile in der Dunkelheit sitzenbleiben, ihre Stille und Geborgenheit genießen. Dann ein paar Kerzen anzünden. Wenn alle ausgegangen sind, wieder in der Dunkelheit sitzen.

Das Gluckern der Heizung und wenn es aufhört. Beides mögen. Wenn die Heizung wieder richtig warm wird, nachdem man ihr auf die Sprünge geholfen hat. Es eindeutig nicht mögen, wenn die Heizung nicht richtig warm wird.

Schokoladenduft, der während des Backens durchs Haus zieht. Fast besser als das Essen des Kuchens.

Märzwetterkapriolen: Schneeflockenwirbel, graue Wolkendecke, Sonnenschein und blauer Himmel mit dicken weißen Wolkenschiffen, die gemächlich vorüberziehen. Dann alles von vorne. Und jetzt noch Hagel, wie um zu sagen, Moment, da geht noch mehr.“ Ich liebe dich, Leben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wieder einen Löffel in Milchschaum tauchen. Vor Freude und Dankbarkeit fast weinen. Einen manuellen Milchaufschäumer zuhause haben, ihn aber fast nie benutzen. Milchschaumgetränke für Cafébesuche reservieren, am liebsten natürlich to stay and to stay long.

Das (österreichische) Wort und der Zeitvertreib des Kaffeehaussitzens.

Die Buchläden haben wieder geöffnet. Bei den reduzierten Kalendern einen literarischen Café-Kalender entdecken. 

Kalender im März kaufen. Oder im Folgejahr. Kalendarische Zeit nicht übertrieben wichtig nehmen.

Ein Zeitschriftenartikel über den Zauber von wintergrauen Tagen in Wien. Vielleicht nächsten Winter dieser Anregung folgen.

Die Schönheit von Langsamkeit und Genuss, in so vielem. Es zum Beispiel abschreckend finden, für nur ein oder zwei Nächte zu verreisen. Drei müssen es mindestens sein, besser vier. Früher für ein oder zwei Nächte ins Ausland geflogen sein. Warum nicht? Und jetzt: Warum?

Einen kleinen Text lesen, den ich vor einigen Jahren an meine Wand geklebt habe. Überhaupt keine Erinnerung daran haben, ihn aber sehr mögen.

Sich keine Sorgen über sein Gedächtnis machen. Irgendwie wissen, dass in jedem Moment das da ist, was gebraucht wird.

Einen verblühten Strauß Tulpen aus dem Zimmer tragen und dabei eine Spur von gelben Blütenblättern auf dem Boden hinterlassen.

Unkuratierte Kunst, Schönheit. Das Leben in seiner nackten Istheit.

Gemusterte Socken und gute Laune beim Anblick meiner Füße in ihnen.

Die Zehen in der Dusche spreizen, sodass die Fussel von den Socken sich leicht abspülen lassen. Die Zehen spreizen können. Socken, die keine Fussel zwischen den Zehen hinterlassen.

Die Geschichten von Banana Yoshimoto. Leichtigkeit, Tiefgang, Dunkles, Helles, Alltägliches und Übernatürliches, wie selbstverständlich und in wunderschöner Einfachheit miteinander verwoben.

Keine Angst vor dem Leben haben.

Alles ist rund. Wenn du ganz tief tauchst, kommst du einfach an einer anderen Oberfläche wieder raus. Doch es ist anders, scheinbar jedenfalls, als gar nicht erst zu tauchen.

Die Anmut von Zigarettenrauch, vor allem, wenn er sich langsam kringelt. Es schade finden, nicht zu rauchen.

Der Schornsteinrauch, der ungestüm durch die Luft weht und sich im Fenster gegenüber spiegelt. Eine dieser unendlich(en) alltäglichen Szenen vollendeter Schönheit.

Die ganz konkreten Dinge und die ganz abstrakten. Sie sind für mich die interessantesten und schönsten.

Salat verschlingen, wie als wäre er Junk Food.

Fragen, die keine Antwort haben. Und auch nicht brauchen. 

Der Schmerz, wenn sich alles falsch anfühlt, aber man nicht weiß, wie es richtig wäre und wo die Tür dahin ist. Und wenn sie sich findet oder einfach der Schmerz verschwindet. Und dass das vielleicht dasselbe ist.

Zeiten, in denen der Lebensfluss richtig schön fließt oder fröhlich-gemütlich plätschert. Und Zeiten, in denen er vor sich hindümpelt oder zu versiegen scheint. Und vielleicht, wahrscheinlich, kommt eines Tages Regen und belebt ihn neu. Wie der Bach hinterm Haus, der jahrelang wie ausgetrocknet war und seit einiger Zeit fließt und rauscht wie noch nie.

Wie immer das Bestmögliche geschieht, das Einzige, das, was eben geschieht. Life just cannot fail.

Selbstgefälligkeit. Und Fremdgefälligkeit. Sich selbst großzügig sein lassen, wie man ist, und die anderen auch. Wenn beides gelingt.

Wenn es nicht A oder B oder A versus B ist, sondern A und B oder A gleich B. Bei Egoismus und Selbstlosigkeit zum Beispiel. 

Ein kleines Mädchen in einem YouTube-Video, das auf die Frage, wo es die Chips, die es knabbert, herhat und ob es gefragt hat, antwortet: “I asked myself and I said thank you to myself.

Geburten, Hochzeiten, Sterben und Beerdigungen mit vielen Teilnehmern nicht mögen. Das Gefühl, dass solche Ereignisse viel zu intim und zart sind, um sie zu teilen und groß zu kommentieren. Das Gefühl, dass das für so vieles gilt. Dann wieder die Freude am Teilen, Reden und Schreiben.

Das richtige Wort finden, den richtigen Ton treffen. Und dann wieder nicht.

Sich nicht festlegen können, wollen und müssen.

Die Besonderheit und Schönheit von unscheinbaren, verborgenen, stillen Dingen, gerade weil sie nicht versuchen, besonders zu sein.

Der Gedanke, dass es nichts Uninteressantes gibt. Alles und jeder ist sein eigenes Mysterium.

Das „Tagebuch des unbedeutenden Weltgeschehens“ von Walter Wemuts Zeitungshändler im Buch Wozu wir da sind von Axel Hacke. Ein Album mit skurrilen und berührenden Zeitungsmeldungen abseits der Schlagzeilen.

Wenn sich durch Schreibfehler lustige neue Bedeutungen oder Variationen ergeben. In der Stadt die Maskentragehinweisschilder in der Fußgängerzone: Auf einem heißt es in der englischen Übersetzung, Cover you mouth and nose. Ey, yo, bedeckst du Mund und Nase!

Einwegmasken in anderen Farben als Hellblau. Pink zum Beispiel. Für einen kurzen Moment mit diesem Graus versöhnt sein. Und Faszination darüber empfinden, dass das Leben einfach keine Monotonie erlaubt.

Frisch geputzte Fensterscheiben. Zuhause bleiben, um den Ausblick durch sie zu genießen (was zurzeit noch leichterfällt als sonst).

Baby-Bisons.

Wenn man an der Ampel träumt oder sich umschaut und nicht gleich bei Grün losfährt. Wenn der Hintermann nicht gleich hupt. Vielleicht ist es ihm genauso gegangen. Eine schöne Szene wäre das: eine Schlange aus Autos, Mopeds und Fahrrädern, die Ampel wird grün, und keiner merkt es.

Wenn man überlegt, ob man den Satz anders formulieren sollte, um das Wort Hintermann zu umgehen. Oder ob man stattdessen lieber Hintermensch schreiben sollte. Warum nicht? Ich finde es schön und trotzdem (noch?) (zu?) ungewohnt. Der schmale Grat zwischen authentisch und künstlich.

Das Haus in der Stadt mit der Aufschrift „Nur was sich ändert, bleibt bestehen.“ Und just dieser Spruch wird bald nicht mehr zu sehen sein, weil ein neues Gebäude direkt an diese Wand gebaut wird. Und dieses Gebäude wird die neue Stadtbibliothek enthalten, die wiederum tausende Bücher enthält, die wiederum abertausende oder Millionen von Gedanken und Geschichten enthalten und diese vorerst vor der Veränderung oder dem Verschwinden bewahren.

Unveröffentlichte Gedanken, Gedichte, Geschichten, Bücher, Artikel. Wie viele davon muss es geben in den unzähligen Schreibtischschubladen und Notizbüchern, auf den Computern, Laptops, Tablets und Smartphones dieser Welt, ganz zu schweigen von dem, was gar nicht erst aufgeschrieben wird? Wie viel mal mehr muss das sein als all das unzählige Veröffentlichte?

Bestimmte Sachen unvorstellbar finden, zum Beispiel die Anzahl unveröffentlichter Aufschriebe. Oder die Menge an Geld oder Fischen oder Ameisen oder Erbsen oder Baumblättern oder Wassertropfen oder Haaren oder Gänsehautpunkten oder Wollmäusen oder Sternenstaub. Im Grunde alles unvorstellbar finden. 

Die Begrenztheit und Unendlichkeit des Geistes.

Mäandernde Flüsse, Spaziergänge, Gespräche und Gedanken.

The word airy-fairy and its meaning.

Die einst gelesene Behauptung, dass man das Glück stets in seinen Zehen finden könne. Warum nicht? Die Vorstellung, dass das common sense wäre. Wenn jemand arg lange traurig ist, würde er sich selbst oder jemand anderes ihn einfach daran erinnern, in seinen Zehen nachzuschauen. Und er würde sich mit der Hand an die Stirn schlagen und sagen, Stimmt, bin ich blöd. Klar, in den Zehen!

Die Idee oder teils auch Tatsache, dass sich Gefühlszustände per Knopfdruck herstellen lassen. Der Charme und Nicht-Charme davon.

Mit meiner Nichte Bezaubernde Jeannie gucken. Sofortmanifestationen per Augenklimpern faszinierend finden. Aber nach einem Tag oder einer Woche wäre es wahrscheinlich langweilig.

Die Briefträgerin geht mit gesenktem Kopf zum Postauto, weil es schneit. Die Vorstellung schön finden, dass sie stehenbleibt, den Kopf hebt und den Mund öffnet, um ein paar Schneeflocken aufzufangen. Und dann mit einem Lächeln weiterarbeitet.

Menschen, die aus ihrer Arbeit ein freudiges Spiel und Fließen machen. „Arbeit ist Spielen für Erwachsene“, las ich mal irgendwo. Die Erinnerung an zwei Sixt-Mitarbeiter, die sich auf dem Parkplatz einen kleinen freudigen Boxkampf geliefert haben. Wie köstlich solche Szenen sind, als Teilnehmer oder Zuschauer.

Wie köstlich alles ist, auch wenn es mal nicht köstlich ist. Wenn kein oder kaum Widerstand vorhanden ist, ist auf eine Art alles köstlich. Lockdown-Koller, graue Stimmung und „sich aus der Lethargie schälen“ (der 11. März im „Was wir lieben“-Kalender), wenn die Zeit reif ist.

„‚Wissen Sie, ich brauche für alles sehr viel Zeit. So bin ich halt. Aber solange ich mir die Zeit nehmen kann, ist alles in Ordnung.‘ ... ‚Damals gönnte ich mir viel Ruhe, und genauso wollte ich es auch diesmal tun. Mich auf keinen Fall zu irgend etwas zwingen.‘ ... ‚Mutter hat immer gesagt, man dürfe im Leben nichts erzwingen. Zwang und Gewalt seien die Wurzeln des Bösen. Sie ist nicht müde geworden, uns das einzutrichtern. ... Sie hat erzählt, in jungen Jahren, als sie einmal allein am Busbahnhof gewartet habe, sei ihr ein Geist erschienen. Er sei von den Bergen her gekommen und in ihren Körper geschlüpft. Von da an sei sie immer beschützt gewesen, ... Sie mußte sich nie zu etwas zwingen. Deshalb, glaube ich, hat sie wirklich so gelebt, wie sie wollte. ... Nimm dir Zeit, geh deinen eigenen Weg, redete ich mir zu. Fürchte die Zeit nicht, geh einfach immer weiter, wie Mitsuros Mutter.“ (Banana Yoshimoto, Federkleid)