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Samstag, 24. Februar 2018

Über den Müßiggang

Auf zwei Lesebücher möchte ich gern hinweisen. Für den müßig-tätigen Geist, für Interessierte an der Kunst der Langeweile, der Lebenskunst, wenn man so will. Zum Nachdenken und Vergnügen. Die Bücher versammeln ernste und heitere Betrachtungen aus den letzten Jahrhunderten zum Thema Faulheit, diesem Schreckgespenst der arbeits- und beschäftigungswütigen Welt. Viele der Texte erscheinen heute aktueller denn je! Ich finde ja, es stünde uns gut an, all dem Eifer und der Emsigkeit eine großzügige Prise Nichtstun hinzuzugeben. Vielleicht würde der Kuchen dadurch schmack- und nahrhafter?

Weitere Gedanken zum Thema, auch im Zusammenhang mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen, sowie die Buchempfehlungen folgen bei Klick auf Weiterlesen.


Auch und gerade im Zusammenhang mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen (siehe vorheriger Beitrag) ist das Thema Faulheit ein paar (oder auch viele) Gedanken wert. Viele Kritiker des BGE scheinen Angst davor zu haben, dass bei einem Grundeinkommen die halbe Nation in der Hängematte chillen oder ihre Tage biertrinkend und RTL2-schauend vor dem Fernseher verbringen könnte – während sie selbst natürlich weiterhin fleißig arbeiten würden. Der Mensch ist faul, ausgenommen mich selbst. Wie immer ist es in den meisten Fällen wohl von allem ein bisschen; wir sind gerne tätig, in welcher Form auch immer, und zwar am liebsten (und am besten, am produktivsten), wenn wir das, was wir tun, aus freiem Antrieb und gern tun. Und wir sind faul; einfach so, weil wir uns gegen unsinnige Tätigkeit sträuben und weil wir fürs erneute Tätigsein neue Kräfte sammeln müssen. Selbst Hängematte, TV & Co. werden wohl nach einer Weile langweilig. Und auch jetzt, ohne bedingungsloses Grundeinkommen, gibt es natürlich schon Menschen, die diesen Dingen oder anderen Formen des Müßiggangs frönen und damit angeblich den tüchtigen anderen „auf der Tasche liegen“. Okay. Die Welt ist bunt, und vieles ist wohl auch einfach eine Typsache. Es gibt die sehr Betriebsamen, die sehr Faulen – und die Mehrheit, die vermutlich in einem mehr oder weniger ausgeglichenen Wechsel lebt: von Tätigkeit einerseits – in welcher Form auch immer: ob bezahlt oder nicht, mit all seinen scheinbaren guten und schlechten Auswirkungen auf einen selbst und „die Gesellschaft“ (wer kann das schon wirklich unterscheiden?) und Nichtstun andererseits was immer das genau sein soll. Sind z. B. das Lesen und Schreiben von Texten über den Müßiggang und das Nachdenken darüber als Tätigkeit oder als Untätigkeit zu verstehen? Sind sie nützlich und sinnvoll oder unnütz und gar schädlich? Ist Betriebsamkeit per se gut? Ist sie nicht auch eine Form von Faulheit, wenn sie unhinterfragt dem Mainstream folgt? Wer mag das sagen? Letztlich ist es eine Frage der Perspektive, der Lebenseinstellung, des Menschenbildes.

Übrigens: Angenommen „der Mensch“ (?) ist tatsächlich vor allem faul, warum muss er dann überhaupt zur Arbeit gezwungen werden? Vermutlich ist ein Mensch immer bereit, zu arbeiten, um seine Bedürfnisse zu erfüllen, wie auch immer die aussehen. (Wahrscheinlich ist er aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr bereit, zu arbeiten, wenn damit zu einem großen Teil die Maßlosigkeit anderer befriedigt werden soll, Stichwort extreme Ungleichverteilung des Wohlstands). Auf eine Art ist Tätigkeit daher wohl ein Überlebensinstinkt, physisch wie psychisch. Oder kommt der Zwang daher, dass in der Bibel steht „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen“? Ist dieses „Gesetz“ heute noch zeitgemäß (Stichwort materieller Überfluss, Wissensgesellschaft, Roboterisierung, Digitalisierung)? Und warum scheinen so viele Menschen an diese Geschichte zu glauben, obwohl sie sich nicht als religiös bzw. christlich bezeichnen würden? Oder wissen wir einfach nicht mehr, was wir ohne Arbeit, mit weniger Arbeit oder selbstgewählter Arbeit tun würden? Wird nicht manche Arbeit gerade aus Faulheit gemacht, etwa Dienst nach Vorschrift aus Resignation und Bequemlichkeit? Wissen wir nicht, welche Arbeit uns überhaupt Freude machen würde? Brauchen wir die Arbeit als Ablenkung? Wäre uns sonst langweilig? Dabei ist das Leben doch voller Beschäftigungsmöglichkeiten und voller wunderbarer Gelegenheiten, „nichts“ zu tun! Außerdem ist das BGE kein Arbeitsverbot, sondern ein Grundeinkommen, es steht für Würde und Spielteilnahme. Sehr viele Menschen würden also sowieso weiter gegen Geld arbeiten, weil sie mehr als z. B. 1.000 Euro pro Monat haben möchten. Der Markt ginge weiter, nur freier und fairer und wahrscheinlich umso farbenfroher. Und jeder, der sich reich arbeiten will, könnte das natürlich weiterhin tun. Daneben würde nicht-bezahlte, aber sehr notwendige, wertvolle und zukunftsentscheidende Arbeit auch finanziell gewürdigt bzw. endlich in der sog. Wertschöpfung auftauchen, z. B. Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen oder Freunden; alle Arten von sozialem, politischem, kulturellem und ökologischem Engagement; freie Bildung, das Entwickeln neuer Lern- und Denkweisen, auch und gerade von Utopien/Visionen, oder auch das Kümmern um das eigene Wohlbefinden. (Für all dies ist Geld heute eher ein Verhinderer als ein Ermöglicher.)

Bedenkenswert finde ich hierzu auch das Zitat von Blaise Pascal (frz. Mathematiker und Philosoph des 17. Jh.), wonach alles Unglück der Menschen seine Ursache darin hat, dass sie nicht fähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer zu bleiben. Ist es also nicht sehr löblich, gewissermaßen ein Akt des Friedens und der Menschlichkeit, einfach mal die Füße still zu halten?


Aber genug der Worte. Wo kämen wir hin, wenn Müßiggang der Erklärung und Rechtfertigung bedürfte?
 

Hier noch das Wichtigste, die besagten Buchempfehlungen :).

Faulenzer-Lesebuch (Diogenes, 2012)
Besonders gefallen mir hieraus die folgenden Texte:
– Robert Louis Stevenson: Eine Apologie für Müßiggänger
– Iwan Gontscharow: Oblomowerei
– Bertrand Russell: Lob des Müßiggangs
– Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit
– Béla Balázs: Urlaub
– Joseph Roth: Die Rentabilität der Faulheit

Lob der Faulheit (Insel, 2004)
Hier für meinen Geschmack vor allem folgende Geschichten und Gedanken:
– Hermann Hesse: Die Kunst des Müßiggangs
– Bertolt Brecht: Ballade vom angenehmen Leben
– Wolfgang Hildesheimer: 1956 – ein Pilzjahr
– Henry Miller: Es gab noch etwas anderes
– Robert Walser: Brief eines Dichters
– Oscar Wilde: Fleiß
– Lukanga Mukara: Die Arbeitsfron
– Henry de Montherlant: Regeln der desinteressierten Maßhaltung
– Boris Vian: Die Straße machte eine scharfe Kurve
– Christoph Meckel: Drusch, der glückliche Magier

Und natürlich, ich habe dieses Buch hier schon einmal erwähnt, Tom Hodgkinsons vergnügliche und sehr lebenspraktische „Anleitung zum Müßiggang“ (z. B. von Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 2004)
Dort wird z. B. der englische Schriftsteller George Gissing zitiert, der 1892 treffend die Lage der Dinge zum Thema Arbeit beschrieb und für eine Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit und eine bessere Lebensqualität eintrat:


„Sie ist total absurd, diese Idee, einzelne Tage für allgemeine Feiertage zu reservieren. Das wird nie etwas anderes als Schaden anrichten. Was wir wollen, das ist eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit im ganzen Jahr, so dass zum Beispiel jede Arbeit um 4 Uhr nachmittags [heute wäre dank Automatisierung und Digitalisierung wohl eher 12 Uhr mittags angebracht] enden würde. Dann würde die Vorstellung von Mußestunden den Menschen vertraut werden und sie würden lernen, vernünftigen Gebrauch von ihnen zu machen. Natürlich ist das unmöglich, solange wir noch arbeiten, um zu arbeiten. Die Arbeit der ganzen Welt – all das, was für die Gesundheit und Bequemlichkeit, ja selbst für den Luxus der Menschheit wirklich nötig ist – könnte in drei oder vier Stunden pro Tag erledigt werden. Es gibt nur so viel Arbeit, weil es so viel Geldgier gibt [und so viel Langeweile?]. Jeder Mensch muss mit seinem Nachbarn ums Auskommen kämpfen, und der Lebensmittelhändler, der seinen Laden bis nachts halb eins geöffnet hält, hat gegenüber dem, der um Mitternacht schließt, einen Vorteil. Arbeit an sich ist kein Zweck, nur ein Mittel; aber wir machen sie heutzutage zum Zweck, und drei Viertel der Welt begreifen nichts anderes.“


„Ein neuer Gedanke wird zuerst verlacht, dann bekämpft und dann für selbstverständlich gehalten.“ (Arthur Schopenhauer)
  
„Eine Landkarte, auf der der Ort Utopia nicht verzeichnet ist, ist keines Blickes wert.(Oscar Wilde)

Viel mehr Worte und Erklärungen braucht es vermutlich zu diesem Thema nicht (die Aspekte Macht, Ohnmacht, Angst vor Veränderung und Verantwortung dürften noch eine erhebliche Rolle spielen). Vielleicht ist es gewissermaßen zu einfach, um verstanden und vor allem realisiert zu werden. Aber vielleicht ist auch einfach jetzt die Zeit reif genug (oder die Umstände erzwingen es), den Selbstzweck, die Ideologie von Arbeit bzw. die Koppelung von Arbeit und Einkommen in größerem Stil als bisher infrage zu stellen? Es dürfte eine der größten Revolutionen in der Menschheitsgeschichte sein – und dabei auch bloß ein Zwischenschritt, eine Brücke zu Entwürfen wie dem Aufleben von Gemeinschaftlichkeit und Teilen (Ökonomie im Sinne eines guten Lebens für alle, im Sinne von Postwachstum, Solidarität und Gemeinwohl), materieller Regionalität bei virtueller Globalität sowie Suffizienz als Mittelweg zwischen Überfluss und Verzicht. Dabei steht natürlich auch die jetzige Rolle des Geldes zur Debatte – es könnte völlig überflüssig werden. All das ist heute schon vielerorts und vielermenschs da, als Gegenbewegung zur aufreibenden oder einlullenden Kapitalismus-, ergo Wachstums-, Konsum-, Geld- und Arbeitsideologie. Aber auch und vor allem, weil das (materielle) Wachstum offenbar nicht endlos weitergehen kann: Dieser Planet brennt, trocknet, schmilzt und flutet uns gerade unter dem Hintern weg oder, anders gesagt, verwandelt sich so, dass die Menschheit bald nicht mehr auf ihm klarkommen dürfte. Das BGE scheint gerade in der schopenhauerschen Phase 2 angekommen zu sein: Es wird bekämpft bzw. als Realutopie ernsthaft diskutiert, während die ferneren Utopien noch von vielen verlacht werden. Es bleibt jedenfalls spannend!