Ein Beitrag aus dem BR-Fernsehen gibt Einblicke in die Doku und lässt den Regisseur zu Wort kommen.
“Essen ohne Arbeit – sowas gibt es nicht. Noch nicht. Denn führende Köpfe in Wirtschaft und Politik sind sich einig: das bedingungslose Grundeinkommen wird kommen. Dokumentarfilmer Christian Tod hat eine Weltreise gemacht, um die vielfältigen Positionen zum bedingungslosen Grundeinkommen einzufangen."
Visionär, innovativ – und utopisch? Oder ist die Zeit langsam reif für die Idee? Nicht nur aus menschlicher, sozialer und kultureller, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht? So, wie sich die meisten Menschen vor 100 oder 200 Jahren nicht vorstellen konnten, dass unsere heutige Welt voll mit Autos, Zügen, Flugzeugen, Smartphones und 37 Joghurtsorten ist, dass es so etwas wie Demokratie, Meinungsfreiheit, Krankenversicherung und Urlaub gibt oder dass sich Frauen selbstverständlich auch jenseits von Heim und Herd bewegen und homosexuelle Menschen Familien gründen – so wird man sich vielleicht in 10 Jahren darüber wundern, dass sich die Menschen heute trotz oder wegen all des sogenannten Fortschritts in einem Hamsterrad aus Arbeit, Konsum und Bürokratie abgestrampelt haben, weil der einst gepriesene Kapitalismus aus dem Ruder gelaufen ist. Man sprach zwar vom aufgeklärten, mündigen "Bürger", das selbstständige, kritische Denken, das Innehalten und das Fühlen des Menschen (!) waren in all der Hektik aber irgendwann vergessen worden. Vielleicht beim morgendlichen Sprint zur U-Bahn, weggeworfen zusammen mit dem Coffee-to-go-Becher, im Warenkorb von Amazon oder auf der Facebook-Timeline liegengelassen. Oder es wurde in aller Heimlichkeit praktiziert, als wäre es etwas Unanständiges oder peinlich Naives. Eigentlich war es im Hamsterrad ganz bequem, aber nach einer Weile fing meistens doch irgendetwas an zu nagen in Hamsters (äh, Menschens) Kopf ...
Inzwischen war nämlich nicht nur die Arbeit ökonomisiert, sondern auch fast alle anderen Lebensbereiche. Alles schien fragmentiert, getaktet, rationalisiert, kommerzialisiert und einer bestimmten Funktion unterworfen zu sein. Arbeit, Freizeit, Spaß, Erlebnis, Liebe, Sex, Familie, Freunde, Entspannung, Glück, ... – sie waren irgendwie zu wirtschaftlichen Größen geworden, die in ihrem Wert und ihrer Zeit quantifiziert, organisiert, maximiert bzw. optimiert, verglichen und schließlich eventisiert wurden, um sie einem geschickten Spaßdiktat zu unterwerfen, damit sie nicht wie ein lästiger Zwang daherkamen. Viele Menschen verschoben das angenehme Leben aufs Wochenende, den nächsten Urlaub oder die Rente, oder sie waren einem Selbstverwirklichungszwang durch Arbeit unterworfen. Anders als noch hundert Jahre zuvor wurden die meisten Leute nicht mehr von autokratischen Fabrikbesitzern zur Arbeit angetrieben, sondern waren längst zu ständiger Leistung und Konsum erzogen – ich bin beschäftigt, also bin ich; ich kaufe, also bin ich. Brot und Spiele waren zu Arbeit und Konsum geworden. Das ging so weit, dass Erwerbsarbeit, also die Logik "Tätigkeit/Zeit gegen Geld gegen Essen, Trinken, Wohnen, Waren und Dienstleistungen" als Selbstzweck, als Wert an sich verinnerlicht worden war, auch wenn sich das, was man oft acht und mehr Stunden pro Tag tat, weder für einen persönlich noch für "die Gesellschaft" sinnvoll anfühlte. Im Gegenteil, es schien beiden oft eher zu schaden. Für Dinge, die man hingegen als sinnvoll, gesund oder einfach als schön und vergnüglich empfand, blieb fast keine Zeit mehr. Doch so war es nun mal, es war angeblich "alternativlos", und die Mehrheit lebte lammfromm und zugleich mit fast religiösem Eifer nach dem ungeschriebenen Leistungsgesetz, das immer seltsamere Blüten trieb. So wurden zum Beispiel jeden Tag Lebensmittel geerntet und industriell hergestellt, die kurze Zeit später oder sogar am gleichen Abend kiloweise weggeworfen wurden, weil die Leute gar nicht so viel essen konnten. Oder es wurden am laufenden Band neue Autos produziert und gekauft, die nicht nur die Umwelt belasteten, sondern für ihren Einsatzort oft auch viel zu groß und zu unpraktisch waren. Außerdem standen sie meistens nur herum, statt genutzt zu werden. Kleidung, Spielzeug und technische Geräte überschwemmten die Häuser, um alsbald kaputtzugehen, im Müll zu landen – und neu "erarbeitet" und gekauft zu werden. Ein großer Teil des "im System" zirkulierenden Geldes hatte keinen realen Gegenwert mehr, war nicht mehr Tauschmittel und konkreter Ermöglicher, sondern nurmehr abstraktes "Kapital", das vermehrt werden musste, damit ein paar wenige Unternehmen und Menschen absurd reich und mächtig werden konnten. Oder weil es eben vermehrt werden "musste" – niemand fragte mehr, warum eigentlich. Und wenn doch, wurde man ausgelacht, oder es wurde resigniert mit den Schultern gezuckt. Es schien mehr denn je so, als würde nicht für die Bedürfnisse der Menschen gearbeitet und gewirtschaftet, sondern für "den Markt" – und als wäre es unsere Aufgabe, diesem durch Arbeit, Konsum und Gehorsam zu dienen.
Die sogenannte Freizeit betrachteten viele demnach auch als einen Raum, der tunlichst mit weiteren Aktivitäten und Events gefüllt werden musste, um von innerem Leerstand und unbequemen Fragen abzulenken. Oder Ruhe und Müßiggang hatten reinen Regenerationszweck, damit der Mensch fit sei, um weiter zu arbeiten und "fortzuschreiten". Doch wozu? Und wohin? War das einst angestrebte Wohlstandsziel nicht längst überschritten? Die Bedürfnisse nicht längst gesättigt? Und so fingen immer mehr Menschen an, sich zu fragen, warum sie eigentlich so weitermachen sollten und ob es nicht auch anders ginge. Ob Menschsein nicht (auch) etwas anderes bedeutet, als zu funktionieren, zu "performen", andere auszustechen und sich dafür mit Konsumartikeln, Dienstleistungen, medialen Informationsfetzen und bunten Pillen zu belohnen und ruhigzustellen – und damit nicht nur den eigenen Geist und die Gesundheit, sondern auch noch die Lebensgrundlage, die Natur, zu schädigen. Und vor allem fragten wir uns: Müssen wir uns unseren Wert tatsächlich erst verdienen?
Was meinst Du? Was ist ein "gutes Leben" für Dich? Bist Du Dir das wert? Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen helfen, es zu verwirklichen, oder wäre es egal? Und gönnst Du es den anderen? Bist Du bereit für mehr Selbstbestimmung, mehr Spielraum – bereit, diese Neuerung (diese Selbstverständlichkeit?) zu wagen? Bereit zu schauen, was passiert, ohne zu denken, Du wüsstest es schon? Welche Alternativen zur allgegenwärtigen Leistungs- und Konsumorientierung gibt es, wenn der Druck wegfällt, sich die eigene Existenz erst verdienen und bezahlen zu müssen? Würden Großzügigkeit, Vertrauen, Empathie, Verantwortungsgefühl, Respekt und Wertschätzung unter den Menschen gestärkt (Phänomene, die von der bisher vorherrschenden Denkweise arg kleingehalten oder gar durchkreuzt werden)? Verändert sich die Qualität von Arbeit und Zusammenarbeit, wenn ich sie freiwillig tue bzw. selbst für notwendig, nützlich oder schön halte? Oder wenn sie ausdrücklich dazu dient, mir die Annehmlichkeiten, die ich über die Basics hinaus haben möchte, zu erarbeiten? Was sind eigentlich meine Bedürfnisse? Welche Vorteile hätte ein Grundeinkommen für Dich? Und welche Nachteile? Welche vielleicht ungeahnten Möglichkeiten – für alle Arten von Tun ebenso wie für Nichtstun – eröffnen sich, wenn für Essen, Trinken, Kleidung und ein Dach über dem Kopf immer schon gesorgt ist? Womit würdest Du anfangen, und wovon würdest Du Dich verabschieden? Was würdest Du nicht ändern wollen, sondern tun wie bisher?
Zum Weiterlesen, Weiterdenken und Mitmachen:
Beispielhaft zwei Interviews mit Götz Werner (Gründer des dm-Drogeriemarkts), in denen er über gute Unternehmens- und Menschenführung spricht bzw. die Grundsätze und zahlreiche Aspekte des BGE illustriert:
– „dm-Gründer fordert 1.000 Euro monatlich für jeden — seine Begründung ist verdammt gut" (businessinsider.de, 2016)
– „Die Zeiten der Gefolgschaft sollten wirklich vorbei sein“ (Xing Spielraum, 2017)
Die Dokumentation "Grundeinkommen — ein Kulturimpuls" von Daniel Häni (Unternehmer & BGE- und Kulturvordenker aus der Schweiz) und Enno Schmidt (Künstler) aus 2008. Sie führt umfassend in das Thema ein und zeigt sehr anschaulich, wie das BGE auf die Probleme im Bereich Wirtschaft und Arbeitsmarkt antworten und einen Kulturwandel befördern kann. Und dass technische Innovation mit sozialer Innovation (inkl. Bewusstseinswandel) Hand in Hand gehen muss, um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.
Auszüge aus einem Vortrag von Götz Werner ("Die Treppe muss von oben gefegt werden"). Ein paar Gedanken daraus: Das Denken geht dem Handeln voraus – denkst du selbst, oder lässt du denken? Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe. Arbeit muss erledigt, nicht gesichert werden. Antworten kommen immer aus der Vergangenheit, die Zukunft aber wird anhand von Fragen gestaltet.
Weitere Videos, z. B. Interviews und Aktionen von Menschen aus verschiedenen Ländern, findest Du unter http://grundeinkommen.tv/.
Die Satire-Seite "Grundeinkommen? Nein danke!"
Die Initiative "Mein Grundeinkommen" aus Berlin verlost regelmäßig Grundeinkommen (1000 Euro monatlich, ein Jahr lang, bedingungslos). Der Verein will damit die gesellschaftliche Diskussion des Themas voranbringen und vor allem schauen, was ein Grundeinkommen mit den Gewinnern "macht". Ein spannendes Praxisexperiment! News, Hintergründe und die Möglichkeit, einmalig oder regelmäßig für die Verlosung zu spenden und daran teilzunehmen, gibt's hier. Dort findest Du auch die Ergebnisse einer Befragung unter den bisherigen Gewinnern.
Auch Bücher zum Thema gibt es inzwischen viele, z. B. von den Unternehmern Götz Werner und Daniel Häni, dem Soziologen Wolfgang Engler oder dem jungen niederländischen Vordenker Rutger Bregman. Sie zeigen auf, warum ein BGE nicht nur aus menschlicher, sozialer und kultureller, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist – und vermutlich bald notwendig. Hier eine kleine Liste:
– Götz W. Werner: Einkommen für alle. Bedingungsloses Grundeinkommen – die Zeit ist reif (Kiepenheuer & Witsch, Neuauflage erscheint im März 2018)
– Götz W. Werner, Matthias Weik und Marc Friedrich: Sonst knallt's. Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen (Eichborn, 2017). Kurz und knapp, Probleme und Lösungsmöglichkeiten (u. a. Finanzier- und Umsetzbarkeit des BGE in Deutschland). Hier gibt's eine längere Zusammenfassung des Buchs, und hier kannst Du eine Podiumsdiskussion mit den Autoren anschauen.
– Daniel Häni und Philip Kovce: Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? (Ecowin, 2017). Sehr knapp, klar & weitsichtig in 95 Thesen auf den Punkt gebracht, mit Liebe zur Freiheit, inkl. Meinungen aus "dem Volk".
– Rutger Bregman, Jahrgang 1988, Historiker und Journalist: Utopien für Realisten. Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen (Rowohlt, 2017). "Das wahre Problem unserer Zeit ist nicht, dass es uns nicht gut ginge oder dass es uns in Zukunft schlechter gehen könnte. Das wahre Problem ist, dass wir uns nichts Besseres vorstellen können."
– Wolfgang Engler: Bürger, ohne Arbeit (Aufbau Verlag, 2005). Sehr wissenschaftlich/intellektuell geschrieben.
– Jeremy Rifkin: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft (Fischer, 2005, Klassiker, erstmals 1995 erschienen). Hier wird das BGE bzw. ähnliche Formen nur in einem Kapitel angesprochen, der Fokus des Buchs liegt auf den strukturellen Bedingungen (Postmarktwirtschaft, Arbeitslosigkeit, Arbeitszeitverkürzung usw.).
Die Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen e.V. aus Berlin setzt sich für das Thema ein, z. B. mit Vorträgen und Gesprächen.
Die Partei Bündnis Grundeinkommen ist 2017 erstmals bei der Bundestagswahl angetreten. Sie fokussiert sich auf dieses eine Thema und setzt sich auf politischer Ebene für eine Einführung des BGE ein. Befürworter gibt es natürlich in fast allen Parteien, aber so richtig auf die Fahnen geschrieben hat es sich von den großen noch keine. Appelle junger Politiker, auch in den Parteien endlich ernsthaft über Zukunft nach- bzw. vorzudenken, gibt es z. B. hier zu lesen: "Jetzt sind wir dran! Fünf junge Politiker aus fünf Parteien wollen gemeinsam die Republik verändern. Ein Aufruf " (zeit.de, 2018)